Soziale Bewegungen im Netz – Occupy auf Facebook

Am Anfang war Empörung.

Occupy als Weg zur Freiheit vor Neoliberalismus (alle Bilder im Text entstanden auf dem Camp der Occupy-Bewegung Hamburg)

Occupy als Weg zur Freiheit vor Neoliberalismus (alle Bilder im Text entstanden auf dem Camp der Occupy-Bewegung Hamburg)

Occupy brachte Menschen auf die Straße, die ihrer Wut über soziale Ungleichheiten, Spekulationsgeschäfte von Banken und über den Einfluss der Wirtschaft auf die Politik Luft machen wollten. Es handelt sich dabei um eine neue Bewegung, die den Reichtum umverteilen will. Sie geht auf eine Redewendung zurück, mit der Adbusters Media Foundation, ein kommerzkritisches kanadisches Magazin, zu Protesten an der Wall Street aufrief (Occupy Wall Street) und diese über soziale Netzwerke im Internet zu organisieren begann. Die Banken sollten zur Rechenschaft für die Finanzkrise gezogen werden und die Menschen gegen Ungerechtigkeit und Ungleichheit kämpfen. Während Superreiche den Großteil des Vermögens besäßen, steige die Arbeitslosigkeit, Bildung und Gesundheit würden immer teurer. Dem solle mit der Occupy-Bewegung ein Ende gesetzt werden, indem Demonstranten die Wall Street besetzen sollten – gleich den Demonstranten auf dem Tahrir Platz in Kairo während des Arabischen Frühlings.

Kritik an Massenmedien

Kritik an Massenmedien

Am 17. September 2011 blockierten Demonstranten den Zuccotti-Park in Manhattan. Demonstranten errichteten dort eine Zeltstadt. Es wurden Diskussionen, Workshops und Aktionen organisiert und Demonstranten marschierten durch die Stadt. Die Protestaktionen konzentrierten sich von Beginn an nicht nur auf den Widerstand gegen bestehende Ordnungen, auf Märsche und Blockaden. Sie forderten dezentrale Organisation und den konsensbasierten Entscheidungsprozess. In einem Occupy-Camp gestaltete sich die Vorstellung einer gerechten Gesellschaft im 21. Jahrhundert, indem alle Mitglieder als gleichberechtigt angesehen werden. In dieser Gruppe existieren keine Anführer oder Untertanen. Occupy steht für Unmut, aber gleichzeitig auch für kollektives solidarisches Handeln. Die Bewegung hat rasch internationale Ausstrahlung gewonnen. Weltweiter Massenproteste schlossen sich dem Konzept an, vor allem in europäischen Städten.

Kritik an der Gesellschaft

Kritik an der Gesellschaft

Im folgenden Essay wollen wir die Organisation von Occupy im Netz sowie deren soziale Praktiken nachzeichnen, indem wir die Resonanz der Bewegung im Netz sowie die Merkmale der Online-Belegschaft der Facebookseite von Occupy online mithilfe qualitativer Forschung beschreiben. Außerdem werden Eindrücke und Kommentare, die die Userschaft der Bewegung abgeben analysiert und die Occupy-Mitglieder in Kategorien unterteilt, um ein Bild von den wichtigen Akteuren zu bekommen. Durch Interviews wollten wir speziell die Occupy-Bewegung in Hamburg näher kennenlernen und so die online-offline-Wechselwirkungen darstellen.

Die benötigte Hilfe zum Überleben der Occupy-Bewegung

Die benötigte Hilfe zum Überleben der Occupy-Bewegung

OCCUPY-Bewegung

Occupy und andere Gruppen kritisieren die Globalisierung und bezeichnen sie als „apokalyptischen Reiter“. Sie protestieren gegen die Alternativlosigkeit und die Dominanz des Kapitalismus. Occupy versucht einen Gist aus der Flasche zu holen, der für sie Antikapitalismus heißt. Die Großkonzerne und Banken sind die zentralen Feindbilder in der Kritik von Occupy. Die kapitalismuskritische Bewegung setzt sich aus reformistischen, idealistischen und revolutionären Stimmen zusammen.

Der starke Netzwerkcharakter von Occupy wird durch die Nutzung der modernen Kommunikationstechnologien und -plattformen deutlich. Diese Form der Struktur kommt der breit angelegten neuen sozialen Bewegung entgegen, da sowohl die Online-Occupyer als auch die Offline-Occupyer-Camper eine traditionelle, hierarchische, Organisationsform ablehnen. Es wird grundsätzlich das Prinzip der „Führungslosigkeit“ vertreten. Gerade wegen dieser losen Organisationsstrukturen sind neue soziale Bewegungen wie Occupy darauf angewiesen, nach innen wie außen über mediale Instrumente wie Facebook so etwas wie kollektive Identität und ein Solidarisierungsgeflecht herzustellen. Nur so wird diesen Bewegungen eine aktivierende Wirkung verliehen.

OCCUPY FACEBOOK!

20130122_152701Die Facebook-Gruppe von Occupy Hamburg ist erreichbar unter https://www.facebook.com/OccupyHamburg. Gegründet wurde die Gruppe am 15. Oktober 2011. Die Info-Seite der Gruppe enthält neben Kontaktinformationen (Handynummer, Emailadresse, Webseite der Occupy-Bewegung Hamburg) auch Informationen über ein Spendenkonto, weitere Kontaktmöglichkeiten via Twitter, Flickr, Livestream, Youtube und über einen Veranstaltungskalender. Es gibt Links zu weiteren Facebook-Gruppen sowie zu externen Seiten und eine Auflistung der Ziele beziehungsweise Punkte gegen oder für die Occupy-Bewegung steht. Neben den Beiträgen der Gruppe werden zahlreiche Fotos und Fotoalben präsentiert. Aktuell (23.01.2013) gefällt 7.862 Facebook-Usern die Hamburger Occupy-Gruppe. Die größte Anzahl derer, die laut Facebook-Seitenstatistik über die Gruppe sprechen,  – aktuell sind dies 209 Personen – stammen aus der Altersgruppe der 25-34-Jährigen. Zum Vergleich: Die Deutschland-Gruppe Occupy hat lediglich 706 Likes, die Occupy-Gruppe-Berlin dagegen 10.998, Occupy München verzeichnet 2.126 und Occupy Wall St. 336.248 Likes.

Aktivitäten der Facebook-Gruppe im 4. Quartal 2012

Information Centerm einen Überblick über die Occupy-Hamburg-Gruppe und deren kommunikative Praktiken im Netz zu bekommen sowie eine erste einordnende Typologisierung der Gruppen-Nutzer herstellen zu können, haben wir die Aktivitäten der Gruppe auf Facebook im letzten Quartal 2012 genauer untersucht.

Insgesamt wurden im vierten Quartal 2012 359 Beiträge auf der Seite der Occupy-Hamburg-Gruppe veröffentlicht. Lediglich ein geringer Anteil – weniger als ein Prozent der Beiträge – stammen nicht direkt von der Gruppenadministration, sondern von Gruppen-Mitgliedern. Die 359 Beiträge splitten sich wie folgt auf: Im Oktober wurden 125 Beiträgen erstellt; 107 Beiträgen wurden im November verfasst und 127 Beiträgen wurden im Dezember geschrieben. Und außerdem fallen 343 Kommentare auf die 359 Beiträge des Quartals (davon sind 99 Kommentaren im Monat Oktober, 140 Kommentare im November und 104 Kommentaren im Dezember), 1555 Likes (292 Likes im Oktober, 376 Likes im November und 887 Likes im Dezember) und 615 Beiträge wurden in diesem Zeitraum in der Öffentlichkeit geteilt. Im Schnitt erhält jeder veröffentlichte Artikel 0,96 Kommentare, 4,33 Likes und 1,71 Teilungen. Bei genauer Auflistung stellt sich jedoch heraus, dass sich in der Regel auf einige wenige Beiträge pro Monate mehr als 60 Prozent aller Kommentare, Likes und Teilungen konzentrieren. Die Mehrzahl der Beiträge wird mit keinen oder nur wenigen Kommentaren, Likes und Teilungen bedacht und „bewertet“.Forderung der Occupy-Bewegung

Gruppenanalyse

Weitere Handlung zu Vermarktungsstrategie der Occupy-BewegungDie Occupy-Hamburg-Bewegung schafft es mit kontinuierlich neuen Beiträgen – durchschnittlich vier pro Tag – für Erstbesucher ein sehr lebendiges Bild der Gruppe zu präsentieren. Diese Bild wird durch immer wieder neu hinzugefügte Fotos oder Videos unterstützt. Das visuelle Material soll dazu beitragen, dass sich gerade Erstbesucher nicht von der Fülle an Text und Informationen überfordert fühlen, sondern dazu angeregt werden, länger auf der Gruppenseite zu verweilen. Ebenfalls sorgen gegenseitige Likes und Verlinkungen in Beiträgen von und zu anderen Facebook-Gruppen, die ähnliche Themen wie die der Occupy-Bewegung haben, dafür, dass man mehr von den Gruppenmitgliedern gewinnen kann bzw. die eigenen Beiträge eine größere Verbreitung erfahren. Den gleichen Effekt hat auch das aktive (damit ist der zeitliche Abstand zwischen den einzelnen Beiträgen gemeint) Veröffentlichen von Beiträgen. Es werden auch immer wieder besonders ironische, sarkastische oder lustige Beiträge dazwischen gestellt, die jedoch immer themenbezogen oder themenverwandt sind, um sowohl Erst- wie Mehrfachbesuchern eine „lockere Stimmung“ zu vermitteln.

Innengestalltung des Camps

Innengestalltung des Camps

Innengestalltung des Kamps

Kritik am EU-Parlement

Kritik am EU-Parlement

Typologisierung

Im Zuge unserer Untersuchung der Facebook-Seite von Occupy Hamburg haben wir auch die Nutzer dieser Seite und deren Aktivitäten im letzten Quartal 2012 näher untersucht. Aus den gewonnenen Daten konnten wir vier Typen von Nutzern feststellen:

              a.      Der anonyme Unterstützer:

Dieser Nutzertyp hat zwar die Gruppe Occupy Hamburg mit einem „Gefällt mir“ „unterstützt“ tritt ansonsten jedoch nicht weiter in Erscheinung – auch nicht bei Likes, Kommentaren oder Teilungen von Beiträgen. Ob der anonyme Unterstützer Beiträge der Gruppe verfolgt oder ignoriert ist nicht ersichtlich, genauso wenig, ob er/sie an realweltlichen Aktionen der Bewegung teilnimmt. Dieser Nutzertyp kann jedoch jederzeit auch zu einem anderen Nutzertypen werden.

             b.      Der aktive Unterstützer:

Der Aktive Unterstützer beteiligt sich nicht nur aktiv und kontinuierlich durch Likes, Kommentare und Teilungen sondern ist auch rege an Organisation, Administration oder realweltlichen Aktionen beteiligt. So ergeben sich vier unterschiedliche Varianten dieses Typus:

  1. Der Stumme kann noch einmal unterteilt werden in den Stummen Teiler und den Stummen Liker. In jedem Fall wird nichts kommentiert, sondern nur geliked und/oder geteilt. Auch von diesen Nutzern sind keine weiteren Aktivitäten bekannt.
  2. Der Outdoorer ist wenig auf den Internetseiten aktiv. Er/sie meldet sich selten zu Wort und wenn, dann fast ausnahmslos zu realweltlichen Aktionen. Er kommentiert in erster Linie Bilder und Bilderstrecken zu solchen Aktionen, wie zum Beispiel Beiträge über Demonstrationen. Dann gibt sich der Outdoorer zu erkennen, um zu zeigen, dass er bei einer Aktion dabei war.
  3. Der Einzeltäter: Der Einzeltäter meldet sich nur einmal zu einem Beitrag zu Wort, manchmal auch zu mehreren Beiträgen, welche sich jedoch alle auf einen Gruppenbeitrag konzentrieren. Manchmal liked oder teilt er einen Beitrag einfach nur. Ein nicht geringer Teil dieses Typus hat die Gruppe nicht geliked, sondern ist zum Beispiel über einen Beitrag, Link oder eine Empfehlung via Facebook von Freunden auf die Gruppe beziehungsweise den entsprechenden Beitrag gestoßen.
  4. Der Miesmacher: Der Miesmacher Kommt nur sehr selten vor. Es ist nicht immer erkennbar, ob dieser seine eigene Meinung vertritt oder einfach nur versucht zu „trollen“ oder „Gegenpropaganda“ zu verbreiten. In erster Linie äußert er sich in Form negativer Kommentare zu Beiträgen und ist offensichtlich kein Sympathisant der Gruppe

Außerdem stellten wir fest, dass es weitere Unterkategorien von User-Typen gibt, deren Intensitität der Mitwirkung als besonders variabel erscheint. Diese Akteure lassen sich in unseren Augen unterteilen in:

  • Der experimentfreudige Neugierige: Wie der Profiteur aktionsorientiert, möchte „mitmachen“ und wirkt sporadisch und spontan.
  • Der Besserwisser: Intellektuell, diskutiert, argumentiert. Sein Ziel ist begründete Reform.
  • Der Redner und Funktionär: Ist sehr gut vernetzt, sowohl online als auch offline; wirkt als Moderator, Brainstormer und bewegt sich im Organisationssegment, aktiv und vertikal. Der Redner klingt und liest sich professionell und stellt die Bewegung innerhalb der Bewegung dar.
  • Der Profiteur: egozentrisch in seiner Kommunikation, Ich-bezogen, aktiviert sich aus persönlicher Betroffenheit und meldet sich stets aktionsorientiert.

KONKLUSION

Internet-Kommunikationsplattformen wie Twitter und Facebook trugen dazu bei, dass Diktatoren in Ägypten, Tunesien und Libyen gestürzt wurden. Die Internetaktivisten von Occupy Wall Street versuchen Menschen in aller Welt gegen die Allmacht des Kapitals zu vernetzen. In Deutschland wählten viele die Piraten ins Parlament, weil sie sich mit deren erklärtem Ziel der Transparenz identifizieren konnten und das Internet ihnen dafür als ein geeignetes Medium erscheint. Durch Occupy zeigte sich, dass das Internet eben nicht einfach nur eine weitere, technologisch ausgefeilte Kommunikationsplattform ist, sondern unsere Kommunikationspraxen selbst sich dadurch maßgeblich verändern.

Unser untersuchtes Beispiel der Occupy-Bewegung Hamburg zeigt, dass das  Internet durchaus ein Instrument sein kann, damit Menschen sich leichter und häufiger an demokratischen Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen beteiligen können. Das Internet erklärt und verdichtet Informationen und macht Entscheidungen dokumentier- und sichtbar. Das erzeugt bei den Menschen die Vorstellung von Transparenz und der Möglichkeit zur Partizipation.

Die Netzakteure vertrauen häufig der Intelligenz des Schwarms, fühlen sich als Teil einer kollektiven Identität und versammeln sich zur Aushandlung und Bestätigung dieser Identität an einem virtuellen Ort – zum Beispiel der Facebook-Seite der Occupy-Hamburg-Bewegung.

Von Immen Bessasi, Matthias Haase, Leonie Mainx, Gede Irfan Alan Nubrata Pande

Quellen:

Die Occupy-Bewegung – Globalisierungskritik in neuer Maskerade Florian Hartleb. (2012) S. 51-54

http://www.kas.de/wf/doc/kas_32747-544-1-30.pdf?121119120207

Inside Occupy, David Graebe (2012) S. 40-42, 53.64

“Die digitale Gesellschaft – Netzpolitik, Bürgerrechte und die Machtfrage“, Markus Beckedahl und Falk Lüke (2012)

Ein Kommentar zu “Soziale Bewegungen im Netz – Occupy auf Facebook

  1. WDR-Reportage, u.a. über einen deutschen Occupy Aktivisten: „Ideale – Wofür lebst Du? Wofür kämpfst Du?

    Was heißt es, wenn junge Menschen sich von der Politik abwenden? Warum wagen sie es nicht, von einer besseren Welt zu träumen? Weil ihnen die Vorbilder fehlen? Oder weil der pragmatische der einzig kluge Weg ist?

    die story begleitet auf der Suche nach Antworten vier junge Erwachsene:

    – Karsten Schröder, einen HedgeFonds-Manager, der per Computer an allen Märkten Rohstoffe handelt, der sagt, er lasse sich von niemandem etwas über Moral erzählen. Der aber doch zweifelt und sein Gewissen beruhigt, indem er für Waisen in Kambodscha spendet.

    – Mojtaba Sadinam, der mit seiner Familie aus dem Iran geflohen ist, der es geschafft hat, einen Platz an einer der angesehenen Privatunis zu ergattern. Der aber irgendwann nicht mehr mitmachen wollte, beim ewigen Kampf um die Karriere, der seine Meinung sagte und merkte, dass man damit schnell im Abseits steht.

    – Nina Ofer, die zu denen gehört, die oft als Gutmenschen verspottet werden, die plastische Chirurgie gelernt hat und als Schönheitschirurgin schnell viel Geld verdienen könnte. Die genau das aber nicht tut, sondern bis zu 60 Stunden pro Woche in einem Operationssaal einer Unfallklinik steht, um Verbrennungsopfern zu helfen.

    – Und Moritz Piontek, der sich ausgeklinkt hat aus dem Rennen um den sicheren Job. Der als Vollzeitaktivist nichts anderes macht, als sich für die Occupy-Bewegung zu engagieren. Und der so sehr davon überzeugt ist, auf der richtigen Seite zu stehen, dass es ihm schwer fällt, die Wege der vielen anderen zu akzeptieren.“

    http://www.wdr.de/tv/diestory/sendungsbeitraege/2013/0107/ideale.jsp

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